Anlässlich des 3. Öffentlichkeitstages der Autismusambulanz Dresden, am 02.04.2014, erstellten einige Mitglieder der DRESDNER AUTISTEN
Erfahrungsberichte über ihre Schulzeit.
Zwei davon kamen im Rahmen des Öffentlichkeitstages zum Vortrag. Diese und zwei weitere Berichte waren im weiteren Verlauf dieser Veranstaltung zum Nachlesen ausgehangen.
Aufgrund der starken Resonanz zu diesen "Innensichten" der Schulzeit mit Autismus und damit die ganze Arbeit nicht nur für eine einzelne Veranstaltung war, haben wir sie hier, mit Einverständnis
der Autoren, veröffentlicht.
Ob und, wenn ja, wann weitere Erfahrungsberichte, vielleicht auch zu anderen Themen, hinzukommen steht noch nicht fest.
SCHULERFAHRUNGEN 1 | Einblenden | |
Meine Schulzeit war Alptraum mit schönen Momenten
Besucht habe ich die Allgemeinbildende Oberschule und habe einen Abschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,4 erreicht. Ich wusste damals nicht, dass ich ein Autist bin, meiner Familie und meinem Umfeld war Autismus unbekannt. Ich war der Außenseiter der Klasse die gesamte Schulzeit über und galt als Sonderling und Einzelgänger. Solange man mich in Ruhe gelassen hatte, waren mir andere Meinungen egal. Leider war Mobbing auch da ein Thema. Mein Verhältnis zu Mitschülern und Lehrern war distanziert. Mit den Lehrern habe ich mich meist verstanden, ich bin immer besser mit Erwachsenen klar gekommen. Meine Mitschüler habe ich meistens nicht verstanden, sie waren mir zu „kindisch“. Ich wusste auch meist nicht, was ich mit ihnen reden oder tun soll. Meine Stärken lagen eindeutig in den naturwissenschaftlichen Fächern, in Mathematik und in Deutsch. Große Schwierigkeiten hatte ich in Sport, Musik und den Fremdsprachen. Lernschwierigkeiten hatte ich praktisch keine. Es war mir nur unverständlich, warum z.B. in Mathe nur der Lösungsweg des Lehrers der einzig richtige war und auch nur dieser eine Lösungsweg als gut benotet wurde. Und ich habe das „Auswendig-Lernen“ gehasst. Sport war mein absoluter Alptraum, weil meine Koordination nicht so gut war und ich z.B. große Probleme bei Ballspielen hatte. Außerdem war unser Sportlehrer begeistert von Mannschaftssportarten, mich wollte aber keiner im Team haben. Meine Eltern haben mir sehr geholfen. Durch meine großen Geschwister wusste ich auch, was in den einzelnen Klassenstufen für Lehrstoff durchgenommen wurde. Ich habe immer sehr gern gelernt und tue es noch heute. Unangenehm waren die großen Pausen, wo ich nicht wusste, wo ich meine Ruhe haben kann. Sehr nervig war unsere große Klasse. Auch sehr störend war, dass ich ständig integriert werden sollte. Ich hatte öfter im Hausaufgabenheft und immer auf dem Zeugnis stehen, das ich mich aus dem Klassenverband ausschließe und mir mehr Mühe geben soll mit meinen Mitschülern gemeinsame Unternehmungen usw. zu machen. Es ist niemandem aufgefallen, welche Mühe ich hatte den Schultag zu überstehen und das ich dann keine Energie mehr am Nachmittag für Hausaufgaben oder Spielen hatte. Bei der Bewältigung meiner Schul- und Lehrzeit hätte ich mir Ruhe, eine kleine Klasse, Lehrer welche länger als ein Schuljahr in der Klasse unterrichten, eine Schulbank für mich allein und Rückzugsmöglichkeiten gewünscht. Sehr hilfreich wäre für mich eine Online-Beschulung gewesen. Heute, da ich meine berufliche Weiterbildung oft mit Online-Seminaren machen kann, weiß ich was mir damals gefehlt hat. |
SCHULERFAHRUNGEN 2 | Einblenden | |
Ohne Titel
Ich hatte 10 Jahre eine POS besucht (69-79). Da hatte ich das Glück, dass ich immer in der gleichen Klasse war. Wir kannten uns von Anfang an und ich gehörte immer dazu. Ich war etwas eigenartig, aber das waren die gewöhnt. Eine Autismus-Diagnose hatte ich nicht. Es gab natürlich auch soziale Probleme, Mobbing usw., jedoch hielt sich das in der Klasse in Grenzen. Die Schüler der anderen Klassen kannte ich kaum. Mit fremden Schülern und den Kindern im Wohngebiet u.ä. hatte ich Probleme, teilweise wurde ich erheblich gemobbt und verfolgt. Ich ging meistens mit Mitschülern zur Schule und zurück, die schützten mich. Mit Lehrern hatte ich mehr oder weniger Probleme, weil ich mich oft nicht normal verhielt und mir Nichts befehlen ließ. Lehrer waren für mich keine höheren Wesen, sondern fremde Erwachsene, die mir etwas beibringen sollten und von denen ich mir gute Zensuren erringen musste. Leider versuchten viele Lehrer zu erziehen, was ich hasste. Am Anfang war mal die Rede von Sonderschule, aber zum Glück blieb ich in meiner Klasse. Ein Schulwechsel wäre vermutlich eine Katastrophe geworden, das merkte ich in der Berufsschule. Das Lernen fiel mir relativ leicht, so daß ich gut mithalten konnte, obwohl ich mich nicht lange auf den Unterricht konzentrieren konnte. Nur in unlogischen Fächern, in denen auswendig gelernt werden musste, z.B. Fremdsprachen, hatte ich Probleme. In Sport war ich schlecht, obwohl ich mich gerne bewegte, mit großen Anstrengungen und Gnade schaffte ich eine 4. Ich bin sehr langsam, dadurch hatte ich manchmal Probleme, ich hatte keine Fehler, aber nicht genug geschafft. Der normale Frontalunterricht war für mich gut. Schwierig waren für mich andere Veranstaltungen, z.B. Hofpausen, Nachmittagsveranstaltungen u.ä., besonders mit fremden Schülern (Parallelklassen). Manchmal war mir die Schule zu unruhig. Mir wäre es lieber gewesen, wenn mehr erklärt worden wäre, mit Zusammenhängen, statt auswendig lernen und ewig wiederholen. Oft hatte ich aus Lehrbüchern gelernt, statt im Unterricht. Für meine Kindheit und Jugend galt: "Die anderen Kinder ärgerten mich oft absichtlich. Die ganze Schulzeit fragte ich mich warum, bis ich später herausfand, dass sie einfach nur etwas über mich herausfinden wollten, weil sie von meiner Fremdheit irritiert waren. Nie gab ich etwas von mir preis oder ging auf sie zu, aber ich wusste ja sowieso nicht wie. Und ich dachte, sie lehnten mich ab. Das lernte ich erst als Erwachsener. Wenn ich das eher gewusst hätte, wäre mir viel erspart geblieben. |
SCHULERFAHRUNGEN 3 | Einblenden | |
Aufbruch in (m)ein eigenes Leben
Ich habe die Vorschulklasse, dann die Grundschule, danach bis zum 7. Schuljahr die Regelschule (Realschule) besucht, bis sich dann wiederholt Schwächen in Mathematik und in den handwerklich-technisch-kreativen Fächern herausstellten. In den Fächern Sport, sowie technisches und textiles Werken kam ich a) nicht mit und b) fielen mir darin verrichteten Tätigkeiten deutlich schwerer als anderen Mitschülern, zudem kam dazu, dass ich mich am mündlichen Unterricht kaum beteiligte. Meine Autismus-Spektrum-Störung war im Verlauf der schulischen Laufbahn, bis zur Berufsschulausbildung, zwar vermutet, aber nicht bekannt bzw. diagnostiziert. Das änderte sich erst im Laufe sowohl der ersten (als Bürofachkraft) als auch der zweiten beruflichen Ausbildung als SPA (Sozialpädagogischer Assistent), die ich allerdings aufgrund praxisbezogener Schwächen und der Tatsache, dass ich von einer schulischen Lehrkraft im 2. Praktikum, von der ich begleitet werden musste, regelrecht gemobbt wurde. Es waren mehrere Schulwechsel erforderlich. Zum einen natürlich aufgrund der Tatsache, dass ich nach der Grundschule auf eine weiterführende Schule – in meinem Fall der Realschule – kommen sollte. Im 7. Schuljahr stellten sich dann die schon erwähnten Schwächen ein bzw. wurden besonders markant, so dass ich von der Regelschule (Realschule) aufs Internat für Körperbehinderte, weil es nicht möglich war, mich aufgrund der Leistungen in Mathematik (zu schlecht) bzw. der Leistungen in den sportlichen, handwerklich-textilen Fächern zu benoten. Die Trennung von meinem Elternhaus viel mehr sehr schwer. An den Wochenenden und in den Ferien war ich zu Hause bei meinen Eltern, und wurde immer am Sonntagnachmittag von Transportern des DRK abgeholt. Bereits Sonntags früh hatte ich das "Abhol- bzw. Raisdorfgesicht (benannt nach dem Ort, an dem das Internat war)" drauf. In meinen Klassen war ich „Der Stille“, da ich mich – wie bereits erwähnt – am Unterricht mündlich nicht beteiligt. Quasi aufgrund meiner Nichtbeteiligung (mündlich) am Unterricht war auch der Kontakt zu Klassenkameraden nicht oder nur wenig vorhanden. Ich konnte mit meinen Mitschülern nichts anfangen, obwohl diese – ähnlich wie bei meinem Bruder – gern mehr mit mir angefangen hätten. Freundschaften haben sich von daher kaum bzw. nur wenig entwickelt. Zu meiner Klassenlehrerin in der Grundschule hatte ich einen guten Draht bzw. sie zu mir. Meine Stärken lagen in der Rechtschreibung und im Schreiben allgemein, Schwierigkeiten waren in der Mathematik, und im Umsetzen von erlerntem. Deutsch und Geschichte sowie Musik waren meine Lieblingsfächer. Mathematik – aufgrund der damals latenten Rechenschwäche – und eben vor allem die handwerklich-kreativen Fächer wie Techn. Oder Textiles Werken eher nicht. Meine Eltern, insbesondere meine Mutter – und zum Teil die Klassenlehrer waren und sind (und ich schreibe dies, obwohl meine Eltern beide bereits verstorben sind) zu einem unverzichtbaren Bestandteil meiner (nicht nur schulischen) Laufbahn, ohne deren Handeln und Tun ich nicht soweit gekommen wäre, wie ich es jetzt heute bin. Meine Eltern, insbesondere meine Mutter waren immer für mich da und haben mich unterstützt und begleitet, wo immer es ihnen bzw. meiner Mutter möglich war (so z. B. Beim Beschreiten von neuen Klassenräumen, wenn ein Klassenraumwechsel angesagt war). Die Schulsituation an sich war ziemlich anstrengend. Zu große Klassenräume – zu viele Mitschüler (ca. 25, wenn ich mich richtig erinnere). Natürlich hätte ich mir mehr Unterstützung, qualifiziertere Fachkräfte, wie es sie heute gibt, gewünscht. Meine Startvoraussetzungen ins Leben waren somit eindeutig schlechter, als es vergleichbaren Autisten heute geht. Aber unter diesen schlechten Startvoraussetzungen habe ich das beste draus gemacht und was heute dabei raus gekommen ist, bzw. rauskommt und auch in Zukunft hoffentlich noch weiter andauert, ist wirklich phänomenal. Deswegen halte ich persönlich auch einen depressiven Rückblick nach hinten nach dem Motto „Scheiße, das alles so gelaufen ist, wie es war“ für völlig fehl am Platze. Im Gegenteil: Ich bin froh, das alles so gelaufen ist, wie es gelaufen ist – alles, aber auch wirklich alles hat seinen Sinn gehabt – auch in der Schulzeit – und ich bin schon sehr gespannt, auf das, was sich zukünftig alles in meinem Leben ereignen wird. |
SCHULERFAHRUNGEN 4 | Einblenden | |
Schulzeit – wie war das noch mal?
Die 10-jährige Schulzeit in einer Polytechnischen Oberschule habe ich - offen gesagt - als ziemlich belastende Zeit in Erinnerung, vor allem das zusammen-sein-müssen mit 30
anderen Kindern in einem Klassenzimmer. Die Unterrichtsstunden selbst waren entweder interessant und logisch strukturiert (z. Bsp. Mathe und naturwissenschaftliche Fächer) oder
aber für mich unstrukturiert/nicht streng logisch und somit nicht wirklich fassbar (z. Bsp. Deutsch-Literatur, Musik, Geschichte, Politik), oder sogar belastend und furchtbar (z.
Bsp. Sport). Ich denke heute, dass ich primär Strukturen wahrnehme, brauche und lebe, und dass die für meine Logik eher unstrukturierten Fächer sowie auch die Pausen für mich
überfordernd waren. Meine Hauptarbeit in der Schule und auch in späteren Zeiten bis heute besteht darin, das Zusammensein mit anderen Menschen, die aus meiner Sicht mit einem
anderen Betriebssystem ausgestattet sind, „zu können“, d.h. sie zu verstehen, mit ihnen in Interaktion zu treten, so dass ein Zusammenleben in Familie und Job auch möglich wird.
Schon frühzeitig zu Beginn des 2. Schuljahres teilte die Klassenlehrerin den Eltern mit, dass ich „anders“ sei und anders denken würde als andere, und dass ich bestimmt mal Abitur
machen würde. Dies hatte zumindest den Effekt, dass mich die Eltern in Bezug auf Schule in Ruhe ließen und ich so selbstständig eigene Strategien entwickelt konnte. Ich habe das
Abitur dann im Anschluss an die Schule aber nicht gemacht, sondern erst einmal einen Beruf erlernt. Der Zufall gab mir dann aber die Chance ein Fachabitur an der Bergakademie
Freiberg zu machen, d.h. fast nur logisch strukturierte und für mich fassbare Fächer, wie Mathe, Chemie, Physik und naja auch Deutsch, eine Fremdsprache und ML. Die damalige
unfallbedingte Sportbefreiung war zugegebenermaßen ein Segen für mich und so konnte ich sogar das Fachabitur mit einem Durchschnitt von 1,0 abschließen. Danach habe ich es
geschafft, mir einen Traum zu erfüllen, ein Studium der Mathematik an der TU Dresden, auch wenn es nicht einfach war. Heute habe ich sogar einen Traumjob für mich in der IT
Entwicklung im SAP-Umfeld in dem ich kreativ und innovativ sein kann und auch fachlich/technische Verantwortung trage. Dies alles war und ist für mich aber nur möglich über ein
jahrelanges zusätzliches Selbststudium der Psychologie (Business Training), um meine Defizite auszugleichen und der Erarbeitung von eigenen inneren Prozessen wie z. Bsp.
strukturelle Analysen als Voraussetzung für einen iterativen Problemlösungsalgorithmus. Essentiell sind dabei jedoch auch die zahlreichen Gespräche mit meinem geduldigen Partner
und wenigen Freunden, die mir ihr Betriebssystem erklärten und mit mir zusammen über Fragen nachdachten, an die sie wohl sonst nie denken würden… |
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